Monday, September 29, 2008

Schöpfungsspiritualität

Schöpfungsspiritualität (engl. Creation Spirituality oder Creation-Centered Spirituality, bitte NICHT zu verwechseln mit Creationism) ist eine panentheistische, postkonfessionelle und naturreligiöse Bewegung, die in ihrer zeitgenössischen Erscheinungsform maßgeblich von dem kalifornischen Priester und Theologen Matthew Fox initiiert wurde.

Sie basiert auf einem non-dualistischen Gottes- und Realitätsverständnis und sieht die physische Realität, Mensch, Natur und Kosmos, sprich die gesamte Schöpfung als Manifestation göttlicher Energie (dabhar) und somit als integralen Bestandteil des Göttlichen an. Das Konzept eines strikt separat von der Welt existierenden Schöpfergottes, der die Charakterzüge eines individuellen Wesens trägt und einer physischen Natur von geringerer Qualität dualistisch gegenübersteht wird nicht vertreten.

Die theologischen Grundlagen von Creation Spirituality erläutert der ehemalige Dominikanermönch und heutige Anglikaner Fox in seinem erstmals 1983 erschienen Buch Original Blessing, wobei er allerdings darauf besteht, dass Creation Spirituality keineswegs seine Erfindung ist, sondern nach eigener Aussage "die älteste Tradition der Bibel, sowie der tradionelle Weg eingeborener Völker", mit anderen Worten eine spirituelle Tradition, die so alt ist, wie die Menschheit selbst und der ekstatischen Erfahrung des Einsseins mit der Natur und dem zugrundeliegenden göttlichen Prinzip entspringt. Folgende Konzepte sind in besonderem Maße charakteristisch für die Lehre von Creation Spirituality:

1. Panentheismus:
Die Schöpfung ist ein essentieller Bestandteil des Göttlichen. Alles was existiert, ist somit aus sich heraus göttlich, von göttlicher Energie durchflutet und selbst aus göttlicher Energie bestehend. Die natürliche Welt spiegelt mit all ihren harmonischen Rhythmen, Zyklen und Gesetzmäßigkeiten, aber auch mit all ihrem Chaos und all ihren Unperfektheiten das göttliche Gesetz wider. Die Natur selbst ist in ihrem So-Sein demnach die erste und höchste Offenbarung des Göttlichen, alle späteren Offenbarungspostulate (Bibel, Koran, Veden usw.) haben demgegenüber zweitrangigen Charakter. Im Einklang mit der Natur zu sein, heißt im Einklang mit dem Göttlichen zu sein, "Sünde" bedeutet zuallererst Entfremdung von der Natur (also somit natürlich auch Entfremdung von der eigenen menschlichen Natur), als Resultat einer Subjekt-/Objektspaltung, der u.a. auch der falsche Dualismus von Kultur und Natur entspringt.

2. Ursegen (Original Blessing) statt Ursünde/Erbsünde (Original Sin):
Die Schöpfung ist, als direkte Manifestation des Göttlichen, etwas prinzipiell Gutes und Wundervolles. Das schließt auch die menschliche Natur mit ein, die ihrem ursprünglichen Wesen nach gut, unverdorben und heilig ist. "Sünde" ist demgegenüber sekundär und sollte darüberhinaus nicht sprichwörtlich als Verstoß gegen den willkürlichen Moralkodex irgendeines imaginären, himmlischen Diktators interpretiert werden. Das unbiblische, augustinische Konzept der Erbsünde, welches eine angeblich erblich von Adam übertragene Sündhaftigkeit des Menschen bereits von Geburt an und bis zur Erlösung in Jesus Christus postuliert, ist aus schöpfungszentrierter Sicht als theologischer Anfangspunkt vollkommen inakzeptabel. Darüberhinaus ist die Lehre von der Erbsünde auch noch hoffnungslos anthropozentrisch, da die Schöpfung in ihrer Gesamtheit ja bereits einige Milliarden!!! Jahre älter ist als die Menschheit und jede potentielle menschliche Sündhaftigkeit. Somit muss eine schöpfungszentrierte Spiritualität (also eine naturreligiöse Tradition) schon rein logisch betrachtet mit dem viel optimistischeren Konzept eines uranfänglichen Segens beginnen.

3. Integration des Weiblichen Prinzips:
Entgegen der einseitig männlichen Symbolik der patriarchalen Traditionen ist der Gott der Schöpfungsspiritualität nicht nur Herr und Vater, sondern auch Göttin, Herrin und Mutter allen Seins. Schöpfung ist kein abgeschlossenes Ereignis in der Vergangenheit, sondern ein ewiger, andauernder Prozess des Gebärens des Universums durch die Göttinnenmutter allen Seins. Naturreligiöse Kulturen würdigen mit Recht sowohl die männlichen wie auch die weiblichen Aspekte des Göttlichen (meistens in polytheistischer Form). Allerdings betonen auch die mittelalterliche Mystik und einige Stellen in der Bibel den gebärenden, mütterlichen Charakter Gottes. Erstere kokettiert sogar offen mit weiblicher Symbolik für den Schöpfer/ die Schöpferin (z. B. bei Juliana von Norwich und Meister Eckhart). Das religiöse Legitimieren von Ungerechtigkeit und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern wird in der Creation-Spirituality-Bewegung vehement abgelehnt.

4. Tiefenökumene:
Der spirituelle Impuls des Menschen ist im Göttlichen selbst verwurzelt. Somit stellt auch jeder authentische Ausdruck dieses Impulses, solange er den freien Ausdruck eines anderen nicht behindert, einen eigenständigen Pfad zu „Gott" und „Erlösung“ dar. Religiöser Absolutismus ist Creation Spirituality fremd und wird allgemein als Resultat von blindem Dogmatismus und naiv-literalistischer Fehlinterpretation traditioneller Schriften angesehen (bei Christen etwa die Fehldeutung des biblischen Ausspruchs "Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich"). Creation Spirituality selbst betrachtet sich in diesem Kontext ausdrücklich als „post-konfessionell“ und trotz Foxens christlichem Hintergrund keineswegs als primär oder gar ausschließlich christliche Bewegung (auch wenn der Wikipedia-Artikel hundertmal was anderes behauptet). Das alles bedeutet allerdings keineswegs, dass Creation Spirituality sich nicht eindeutig positionieren würde oder könnte. Es gibt durchaus klare Richtlinien, die auch jederzeit eine Abgrenzung z. B. von nicht schöpfungszentrierten Religionen ermöglichen.

5. Kreativität:
Schöpfung und Schaffenskraft sind die grundlegenden Dynamiken des Göttlichen. Wer kreativ ist und erschafft, ist Mit-Schöpfer neben „Gott“. Wir alle tragen diesen schöpferischen Impuls in uns, müssen die volle Verantwortung für ihn übernehmen und ihm einen authentischen Ausdruck verschaffen. Ein elitäres Kunstverständnis, das den kreativen Impuls des Menschen auf eine Minderheit sogenannter "Experten" projiziert, ist ein pervertiertes Kunstverständnis und Kennzeichen einer kranken Gesellschaft. Wenn etwa die biblische Tradition lehrt, dass der Mensch in Gottes Ebenbild erschaffen wurde, bedeutet das im Verständnis von Creation Spirituality, dass der Mensch über dieselbe grundlegende Fähigkeit verfügt, innere Bilder in konkrete, manifeste Wirklichkeit umzusetzen (creatio ex nihilo). Dieser Vorgang setzt natürlich auch ein hohes Maß an Ethik und Verantwortlichkeit voraus. Dass diese „Gottesgabe“ nämlich sowohl für das Komponieren eines Musikstücks und das Aufziehen eines Kindes wie auch für den Bau einer Wasserstoffbombe oder die Planung eines Angriffskrieges genutzt werden kann, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

Für diejenigen, die es nicht ohnehin schon vermutet haben, sollte man abschließend vielleicht auch noch erwähnen, dass der gute Reverend Fox bereits Anfang der 90er Jahre auf persönliches Bestreben eines gewissen Kardinal Ratzinger aus Dominikaner-Orden und katholischer Kirche rausgemobbt wurde und nun bei den anglikanischen Episcopalians anstellig ist.

Einer der Hauptanklagepunkte des heutigen Pabstes und damaligen Kardinals und Großinquisitors gegen Matthew Fox war übrigens des Letzteren vehemente Weigerung die „diabolische“ Praktik der Homosexualität zu verurteilen. Auch Foxens grundlegend feministischer Ansatz und die jahrelange, eifrige Zusammenarbeit mit „heidnischen“ Native Americans und Reclaiming-Schnitte Starhawk dürften wohl nicht unbedingt auf vatikanische Gegenliebe gestoßen sein. Man sieht wieder einmal genau, wo das römisch-katholische Imperium seine Schwerpunkte setzt.

Mein persönliches Fazit:
Nach Lektüre des Fox´schen Grundlagenwerkes „Original Blessing“ und zahlreicher Webartikel auf der Seite http://www.matthewfox.org/,hatte ich im Herbst vergangenen Jahres dann auch endlich die Gelegenheit einem Vortrag des guten Reverend persönlich in meiner damaligen Wahlheimat Dublin beizuwohnen. Mein bisheriger Eindruck von der ganzen Chose ist überwiegend positiv und mit meiner eigenen animistischen Weltsicht (die ja auch so manch panentheistischen Zug trägt) zumindest hochkompatibel.

Nachdem mein langjähriges Studium der zeitgenössischen Heidenszene, die ja ganz gerne großmäulig einen naturreligiösen Alleinvertretungsanspruch in der westlichen Gesellschaft erhebt, größtenteils frustrierend verlaufen ist, war ich schon etwas überrascht, ausgerechnet in den Ausführungen eines christlichen Priesters und ehemaligen Dominikanermönches eine solch tiefgreifende und faszinierende Inspirationsquelle für naturreligiöse Lebensführung gefunden zu haben.

Zwar hat sich meine einstmals recht negative Haltung dem modernen Heidentum gegenüber mit der Entdeckung des Rabenclans in Deutschland wieder stark relativiert (es scheinen also DOCH Möglichkeiten zu existieren, im postmodernen Europa Heide zu sein, ohne sich mit dieser nervigen, seichten, verkitschten Heidenszene und ihren halbgebildeten Ideenlieferanten rumärgern zu müssen!), doch bin ich überzeugt, dass mich gerade auch die Lehren der Fox´schen Schöpfungsspiritualität noch ein ganzes Stück auf meinem zukünftigen Weg begleiten werden.

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