Monday, September 29, 2008

Patchwork-Religion

Der Begriff der „Patchwork-Religiösität“ scheint ja bereits seit einiger Zeit im Zusammenhang mit zeitgenössischen, alternativ-religiösen Strömungen die Runde zu machen. Besonders den selbsternannten Wächtern vermeintlicher oder tatsächlicher Orthodoxien, wie etwa evangelikalen Christen, den Haus- und Hoftheologen der großen Amtskirchen sowie einigen Möchtegern-Traditionalisten im neuheidnisch-rekonstruktiven Umfeld dient dieser Terminus dabei offenbar als bequemes Schlagwort , wenn es darum geht, eklektische Glaubenspraktiken pauschal zu diskreditieren, also jenen Zugang zur Spiritualität zu verunglimpfen, der sich mitunter auch wohlreflektiert und aus gutem Grunde nicht scheut, Konzepte, Ideen und konkrete Praktiken, die in unterschiedlichen kulturellen Kontexten entstanden sind, unter einem Dach vereinend zusammenzuführen.

Impliziert wird dabei stets eine den Eklektiker angeblich auszeichnende Oberflächlichkeit und konsum-orientierte Unverbindlichkeit, die dann auch im nächsten Schritt sogleich mit einer vermeintlichen Kohärenz und Schlüssigkeit der eigenen „Tradition“ kontrastiert wird. Überaus beliebt ist bei den besagten Vertretern der obrigkeitsverordneten Gedankenlosigkeit auch der Kampfbegriff der„Beliebigkeit“, welcher in diesem Sinne dann ebenfalls eine ähnlich pauschalisierend-propagandistische Note erhält, wie die eingangs erwähnte „Patchwork-Religion“.

Eine tiefergehende Reflexion der Beweggründe und philosophischen Positionen (oder auch der konkret gemachten Erfahrungen), die die jeweilige Einzelperson zu einem konsequenten Synkretismus der Glaubensausübung veranlassen, findet in der Regel nicht oder nur oberflächlich statt, sei es aus mangelndem Interesse (da man sich ja als „Traditionalist“ sowieso elitär und arrogant auf der richtigen Seite wähnt) oder auch schlicht und einfach aus purer Ignoranz und philosophischer Einfältigkeit heraus.

Obgleich ich die schiere Existenz der oben angeführten Missstände und insbesondere ihre charakteristische Verbreitung in der zeitgenössischen Esoterikszene nicht pauschal leugnen möchte (und aufgrund meiner eigenen Erfahrungen in diesem Umfeld auch gar nicht leugnen könnte), kann und werde ich als bekennender und überzeugter Eklektiker das übliche Totschlagargument von der „Beliebigkeit“ esoterischer "Patchwork"-Praktiken nicht in dieser Allgemeingültigkeit stehen lassen.

Ich maße mir sehr wohl an zu sagen, dass ich als theologisch, philosophisch und religionswissenschaftlich interessierter Mensch in der Tat über eine durch und durch schlüssige und in sich überaus konsistente Weltanschauung und persönliche Lebensphilosophie verfüge, welche stets den Rahmen meiner spirituellen Aktivität bildet. So vielschichtig und heterogen die von mir tatsächlich ausgeübten Praktiken auch sein mögen (die immerhin so unterschiedliche Elemente wie Astrologie, reiki-basierte Energiearbeit, Harner´schen Core-Schamanismus umfassen), sie alle finden doch ihre letztendliche Vereinigung im Nährboden einer in sich kohärenten Gesamtphilosophie, deren lebendigen und organischen Ausdruck sie darstellen. Sie alle spielen ihre individuelle Rolle, sie alle dienen dem Erreichen desselben Ziels, nämlich einer geschlossenen und homogenen Sicht von Göttlichkeit, Mensch und Kosmos auf greifbarer Ebene Ausdruck zu verleihen und sie in praktische Lebensführung umzusetzen.

Man könnte in diesem Sinne also sagen, dass die Entwicklung hin zu einem gewissen grundlegenden Eklektizismus für mich eine ganz pragmatische Angelegenheit war, die in keinerlei Zusammenhang mit irgendeinem zeitgeistkonformen esoterischen Konsumdenken steht. Ebenso, behaupte ich, wird der Vorwurf der „Beliebigkeit“ angesichts der praktischen, zielgerichteten Selektivität eines philosophisch wohlreflektierten Eklektikers ganz schnell ins Leere gehen bzw. sich bereits im Ansatz als Rohrkrepierer heraustellen.

Sicherlich mag es in der kunterbunten Welt des esoterischen Supermarktes auch mehr als genug Menschen geben, die das alles anders handhaben und unter „Spiritualität“ in erster Linie ein für teures Geld zusammengeklaubtes Workshop-Wissen verstehen. Heute die Reiki-Einstimmung, morgen die Selbsterfahrungsgruppe und übermorgen lass ich den Rutengänger ins Haus. In der Zwischenzeit rauchen wir noch ein schönes Tütchen und fabulieren von der rosaroten Liebeskraft der großen Göttin, welche schon von den Druiden im keltischen Urmatriarchat verehrt wurde.

Und doch bestehe ich darauf, dass es unzulässig ist und bleibt, diese populistisch-kommerziellen Auswüchse der modernen Esoterikszene als charakteristisch für die Gesamtheit eklektischer und nicht-traditionsgebundener Strömungen moderner Spiritualität darzustellen. Ebenso beharre ich auf dem Standpunkt, dass ein unhinterfragtes Gleichsetzen von synkretistischer Glaubenspraxis einerseits und mangelnder theologischer Kohärenz andererseits, einen groben Fehlschluss darstellt, der letzten Endes weitaus mehr Fragwürdiges über die Geisteshaltung des „Anklägers“ offenbart.

Im mindesten Falle bleibt für mich festzuhalten, dass der unüberlegte Gebrauch des Schlagwortes „Patchwork-Religion“ mit dem Ziel der pauschalen Verunglimpfung jeder Form von esoterisch-eklektischer Spiritualität offenkundig propagandistische Züge trägt und in aller Regel lediglich dazu beiträgt, den Wortführenden selbst als ideologisch verblendeten Ignoranten zu enthüllen. Wenn man dann auch noch bedenkt, welche Heerscharen traditioneller Christen sich auf ein heiliges Buch berufen, welches selbst den literarischen Charakter einer in sich hochgradig inkonsistenten und teilweise erschreckend willkürlich zusammengeklaubten Schriftensammlung trägt, erhält das Totschlagargument von der „Beliebigkeit der Patchwork-Religion“ darüberhinaus noch eine regelrecht lächerliche Note.

Aber es scheint eben auch für die selbsternannten Wachhunde der orthodoxen Religiösität weitaus leichter zu sein, den Splitter im Auge des Nächsten zu erkennen, als den Balken im eigenen Auge auszumachen. Ich für meinen Teil habe diesen Teilzeit-Demagogen jedenfalls nur eines zu sagen:

Geht mir verdammt nochmal aus dem Weg! Ich habe noch etwas ernsthafte Spiritualität zu praktizieren.

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