Wednesday, November 18, 2009

Das Problem des völkischen Heidentums

Wenn man die schillernde Szenelandschaft des deutschsprachigen Neuheidentums etwas näher betrachtet, wird man ganz schnell feststellen, dass es kaum ein zweites Thema gibt, dass die Gemüter schneller und leidenschaftlicher erhitzt, als die vielbeklagte und ausgesprochen unheidnische Verquickung von Naturreligion und völkischer Ideologie. Es wird immer wieder zurecht darauf hingewiesen, dass in diesem Lande bereits seit mindestens hundert Jahren eine Vereinnahmung naturreligiöser Kulturen (ganz besonders der Germanen und der Kelten) durch völkische, ariosophische und offen rassistische, also politisch extrem rechts stehende Kräfte stattfindet. Es wird immer wieder ganz richtig bemerkt, dass bis spät in die 90er Jahre hinein, dieses Konglomerat antidemokratischer und antiegalitärer Kräfte einen nicht zu unterschätzenden ideologischen und organisatorischen Einfluss auf die deutsche Heidenszene hatte.

Und während es heutzutage einerseits Organisationen wie den Rabenclan, die Nornirs Aett und den Steinkreis gibt, die löbliche Aufklärungsarbeit gegen die hanebüchene Vermengung von Heidentum mit menschenverachtenden Ideologien leistet, so scheint doch andererseits die überwiegende Mehrheit der „Otto-Normal“-Heiden in Deutschland über keinerlei ausreichende historisch-politische Bildung zu verfügen, um dem Problem mit mehr als der üblichen halbgebildeten gutmenschelnden “Ich-bin-ja-sowas-von-gegen-Rechts”-Attitüde zu begegnen.

Wenn ich also das völkische Pseudoheidentum als bekämpfenswertes Problem erachte, so ist mir doch sehr daran gelegen, mich zuallererst mal von politisch bildungsresistenten Gewohnheits-"Gegen-Rechts-Seiern“ zu distanzieren, denn „Gegen-Rechts-Sein“ ist zunächst einmal billig und nichtssagend. Über 90% der Angehörigen meiner Generation haben das „Gegen-Rechts-Sein“ gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen, was dennoch nicht das Geringste daran ändert, dass gewisse bürgerliche Großparteien immer noch mehrheitsfähig sind, obwohl sie ihren Wahlkampf regelmäßig durch ausländerfeindliche Slogans und das Schüren xenophober Stereotype aufpeppen und mit dieser Strategie in der ach so “gegen-rechts-seienden” bürgerlichen Mitte wohl dennoch auf großen Anklang stoßen.

Wenn mittlerweile selbst namhafte Mitglieder der ach so unglaublich “gegen-rechts-seienden” SPD in Millionen von Menschen in diesem Land nicht mehr sehen, als das Potential volkswirtschaftlich unbedeutende Gemüseläden zu führen und stetig neue Kopftuchmädchen zu produzieren, stellt sich mir nicht nur die Frage, wie lange es wohl noch dauert, bis wir die Sozialdemokratie in diesem Lande endgültig zu Grabe tragen können.

Für diesen Beitrag ungleich relevanter, drängt sich mir aber vor allem die Frage auf, wie weit es wohl mit der populären “Gegen-Rechts”-Attitüde in diesem Land wirklich her ist.

Wer wirklich an der Bekämpfung rechtsextremer, rassistischer oder sonstwie misanthroper Ideologien interessiert ist (ob nun innerhalb oder außerhalb des Neuheidentums), der wird schon noch ein bisschen mehr benötigen als diese gutbürgerlichen Selbstbeweihräucherungsstrategien. Zuallererst nämlich mal ein bisschen solide historisch-politische Bildung und zwar ganz besonders solche, die ein klares Verständnis der historischen Entwicklung und der tatsächlichen Inhalte völkischer Ideologie ermöglicht.

Wer von diesen selbstgerechten “Gegen-Rechts-Seiern” hat denn schon einmal was von Biologismus und Nouvelle Droite gehört? Wer von ihnen versteht denn schon die verabscheuenswerte Apartheids-Ideologie die sich hinter dem vermeintlich harmlosen Begriff “Ethnopluralismus” versteckt? Wer von ihnen hat denn bitteschön ein klares Bewusstsein dafür, was es von einem humanwissenschaftlichen oder kulturgeschichtlichen Standpunkt aus mit geläufigen Alltagsbegriffen wie “Volk” und “Nation” wirklich auf sich hat? Und vor allem, wer von ihnen weiss denn schon, wie drastisch und radikal sich die heutige Bedeutung solcher Begriffe von der Bedeutung unterscheidet, die ihnen in tatsächlichen naturreligiösen Kulturen der europäischen Vergangenheit zukam?

Dass ein Wissen um eben diese Themenbereiche genau das geistige Handwerkszeug darstellt, dass man zur effektiven Aufklärungsarbeit “Gegen Rechts” benötigt, scheint sich noch nicht zur Allgemeinheit der politisch korrekten “Gegen-Rechts”-Heiden herumgesprochen zu haben. Dabei würde bereits ein klein wenig fundiertes Wissen um europäische Kulturgeschichte in vernichtender Klarheit enthüllen, wie untrennbar neue und alte völkische Ideologien in pseudowissenschaftlichen Konstrukten aus dem 18. und 19. Jahrhundert verwurzelt sind und demnach schon rein logisch betrachtet völlig inkompatibel mit der Denkungsart und Weltwahrnehmung alter heidnischer Kulturen sind und sein müssen.

Stattdessen belassen es die meisten dann doch lieber bei hohlen Phrasen und bedeutungslosen Posen. Da wird dann auf der Startseite der eigenen Webpräsenz mal eben kurz und knapp ein 08/15-Statement “Gegen Rechts” positioniert, nur um sich dann zwei Mausklicks entfernt in ahistorischem Geistesbrabsch völkischer Prägung zu ergehen. Darüber, dass die Germanen, welche freilich eine klar fassbare und identifizierbare Ethnie darstellen, die Vorfahren der Deutschen seien, dass “germanische Naturreligion” irgendwie doch besser zu uns passe, als die christliche Wüstenreligion etc. pp. blablabla... und der alte Guido List lacht sich in seinem Grab ins Fäustchen.

Bleibt für die Zukunft nur zu hoffen, dass sich der Einfluss von oben genannten politisch und kulturgeschichtlich sensitiven Organisationen wie Rabenclan, Nornirs Aett usw. noch möglichst weit in der neopaganen Landschaft ausbreiten wird. Denn anders wird den Völkischen, den Ariosophen, den Biologisten unter den Neuheiden wohl kaum beizukommen sein und nichts wäre für das wahrhaft heidnische Gemüt wohl bedauernswerter, als die Deutungshoheit für heidnische Naturreligion ausgerechnet denjenigen zu überlassen, die die Welt durch die verzerrte Brille pseudopaganer Schwachsinns-Ideologien des 19. Jahrhunderts betrachten.

Wednesday, August 5, 2009

Heidnisch! Warum?

Wenn ich über meine eigene private Form von Religiosität sinniere, verspüre ich immer wieder die unwiderstehliche Tendenz mich selbst als "heidnisch" zu bezeichnen. Da ich mit dieser Selbstbezeichnung allerdings nicht alleine dastehe und mit dem sogenannten Neopaganismus sogar bereits seit Jahrzehnten eine greifbare spirituelle Subkultur in unserer westlichen Gesellschaft existiert, deren Mitglieder sich als "Heiden" bezeichnen, sehe ich es für angebracht, mal für mich selbst und jedweden interessierten Leser zu klären, in welchem Kontext ich mich als "heidnisch" begreife.

Um es ganz konkret auf den Punkt zu bringen, ich verspüre nicht allzuviele Affinitäten gegenüber irgendwelchen konkreten neuheidnischen Strömungen wie etwa Wicca, Asatru oder keltisierenden Neodruiden. Noch viel weniger halte ich von Odin-brüllenden, met-saufenden Wikingerreenactors, kitsch-esoterisch weichgespülten Mittelaltermarkt-Hexen und ähnlichem romantisierenden Szene-Gesindel, das im Alltag einem durch und durch bürgerlichen 08/15-Lebensentwurf frönt, aber denkt, es sei „heidnisch“, weil es flammende Glaubensbekenntnisse auf irgendwelche Wesenheiten ablegt, die es für „die Götter unserer Vorfahren“ hält.

Vielmehr ist es so, dass ich schlichtweg die Idee interessant und reizvoll finde, in den generellen Denkungsarten, Wahrnehmungsmodi und der überlieferten Mythensprache sogenannter naturreligiöser Kulturen legitime Alternativen zu dem Einheitsbrei sowohl christlicher als auch materialistischer Ideologien der vergangenen Jahrhunderte zu sehen.

Denn wer erst einmal erkannt hat, dass sowohl gegenwärtige christliche Attitüden wie auch die zeitgenössischen Spielarten des Atheismus eigentlich beide gleichermaßen bis über beide Ohren in der exakt selben dualistischen, transzendentalen Weltanschauung verwurzelt sind (die einen in der Bestätigung, die anderen in der Verleugnung des Transzendenten), dem wird sich auch bald erschließen, warum ein radikaler Perspektivwechsel hin zu einer Sichtweise der Realität, die sich nicht in den Dualismen der Aufklärungszeit erschöpft, in mancherlei Hinsicht erfrischende Alternativen zu festgefahrenen Sichtweisen offenbart.

Es ist in diesem und in keinem anderen Kontext, dass ich mich selbst als „heidnisch“ sehe.

P.S.

Es ist allerdings auch in exakt diesem Kontext, dass ich mich für vormodernes Christentum und die nondualen Weltbilder des Ostens interessiere. Also, ihr Heiden aller Länder: Tut das, was ich selbst tue und nehmt mein Bekenntnis zum Heidentum bitte nicht allzu ernst. Dass ich wirklich einer von Euch bin, steht keinesfalls in Stein gemeißelt.