Tuesday, September 30, 2008

Wesen und Unwesen des Atheismus

Das Problem, das ich mit dem Atheismus habe, ist, dass er weder Antworten noch Alternativen bietet.

Zur Begriffsdefinition: wortwörtlich verweist der Begriff "Atheismus" lediglich auf die Abwesenheit eines Gottesglaubens, was ihn sicherlich noch lange nicht antireligiös oder antispirituell macht. Im Gegenteil: es existiert eine Vielzahl religiöser und spiritueller Traditionen, die ohne den Glauben an einen personalen Schöpfergott auskommen. Buddhismus, Neuplatonismus oder die indische Brahman-Atman-Lehre seien hier nur als Beispiele genannt.

Das ist es allerdings nicht, was wir heute in der Alltagssprache gewöhnlich mit dem Wort "Atheismus" umschreiben. Wenn wir in der Alltagssprache von Atheismus reden, meinen wir damit in der Regel eine Art Materialismus oder Physikalismus, also eine Weltanschauung, die die gesamte Realität als eine Ansammlung toter, solider Materieklumpen betrachtet, welche determiniert von ehernen "Naturgesetzen" einen sinnlosen Reigen durch´s Vakuum ausführen.

Das kann ja von mir aus glauben, wer will, bestehend bleibt aber das Problem, dass dieser atheistische Materialismus der abendländischen Moderne mit einem durch und durch überholten, atomistischen Materiebegriff arbeitet, wie er in der Antike schon bei Leukipp und Demokrit vorkommt, bei Descartes mit seinem Radikaldualismus weitergesponnen wurde und seinen vorläufigen Höhepunkt (oder Tiefpunkt?) in den materialistischen Anschauungen der Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts fand. Dass dieser Materiebegriff, wenn er denn als ontologischer Unterbau eines kompletten Welterklärungsversuches dient, zu schier unlösbaren philosophischen Problemen führt, ist dabei im Kontext dieses Beitrags hier noch fast nebensächlich.

Viel wichtiger ist mir zunächst einmal die Tatsache, dass sogar in der Naturwissenschaft selbst (welche ja von Atheisten gerne so großmäulig heraufbeschworen wird) ein solch atomistischer Materiebegriff allerspätestens seit Einstein überwunden ist und von modernen quantenmechanischen Theorien erst Recht ad absurdum geführt wird. Schade eigentlich, dass sich dieser Umstand noch nicht zu den Heerscharen jener Atheisten herumgesprochen hat, die sich so wonnevoll selbstgerecht als die Vorreiter einer wahrhaft rationalen und wissenschaftlichen Weltsicht wähnen.

Nur um keine Missverständnisse hervorzurufen: Ich distanziere mich klar von jener Art esomodischer Quantenmystik, welche neuerdings versucht, jeden verkitschten New-Age-Mist mit hippen Schlagwörtern wie "Quantenphysik" zu rechtfertigen. Relativ sicher fühle ich mich allerdings dennoch mit der Aussage, dass ein Materialismus, welcher auf einem zeitgemäßen und tatsächlich wissenschaftlichen Materiebegriff aufbaut, sich (logisch und konsequent zu Ende gedacht) eigentlich früher oder später selbst übersteigen und auflösen müsste.

Faktum bleibt, dass der moderne abendländische Atheismus historisch wie auch inhaltlich betrachtet nichts weiter ist, als ein verstümmelter Geist-Körper-Dualismus, der in allen wesentlichen Punkten, einschließlich des Zeit-, Natur- und Materiebegriffs, mit dem Cartesianismus übereinstimmt und sich nur und ausschließlich darin von ihm unterscheidet, dass er alles auf der "Geistseite" der dualistischen Trennlinie aus ideologischen Gründen leugnet, respektive auf ein Epiphänomen des "toten", "materiellen" Pols zu reduzieren trachtet.

Wenn wir also mal als gegeben voraussetzen, dass die moderne abendländische Mainstream-Religiosität bis über beide Ohren im cartesischen Dualismus verwurzelt ist - und ich zögere keine Sekunde, das als gegeben vorauszusetzen -, dann offenbart sich uns ein sehr klares Bild davon, wie denn das Verhältnis zwischen moderner okzidentaler Religion und modernem okzidentalem Atheismus geartet ist:

Es sind zwei Seiten derselben Medaille!

Und eben dies ist auch der Grund, weshalb der Atheismus sich bis zum heutigen Tage unfähig gezeigt hat, irgendeine ernstzunehmende Religionskritik hervorzubringen, die über das altbekannte Feindbild des cartesisch-augustinischen Christentums mit seinem dualistischen Gott-Welt-Verständnis hinausreichen würde. Eben dies ist der Grund, weshalb auch solche vordergründig gebildet erscheinenden Populisten und Dummschwätzer wie Richard Dawkins und Konsorten niemals eine Religionskritik hervorbringen werden, die einen Anhänger der Mystik, der klassischen Esoterik oder einer nondualen Weltauffassung auch nur ankratzen könnte.

Jeder, der in der Lage ist, auch nur einen kleinen - aber radikalen - Schritt zur Seite zu wagen, heraus aus den vermeintlichen Gewissheiten des institutionell an-dressierten cartesischen Wirklichkeitsparadigmas, wird diesen Sachverhalt mit aller Schärfe und in befreiender Klarheit erkennen.

Monday, September 29, 2008

Patchwork-Religion

Der Begriff der „Patchwork-Religiösität“ scheint ja bereits seit einiger Zeit im Zusammenhang mit zeitgenössischen, alternativ-religiösen Strömungen die Runde zu machen. Besonders den selbsternannten Wächtern vermeintlicher oder tatsächlicher Orthodoxien, wie etwa evangelikalen Christen, den Haus- und Hoftheologen der großen Amtskirchen sowie einigen Möchtegern-Traditionalisten im neuheidnisch-rekonstruktiven Umfeld dient dieser Terminus dabei offenbar als bequemes Schlagwort , wenn es darum geht, eklektische Glaubenspraktiken pauschal zu diskreditieren, also jenen Zugang zur Spiritualität zu verunglimpfen, der sich mitunter auch wohlreflektiert und aus gutem Grunde nicht scheut, Konzepte, Ideen und konkrete Praktiken, die in unterschiedlichen kulturellen Kontexten entstanden sind, unter einem Dach vereinend zusammenzuführen.

Impliziert wird dabei stets eine den Eklektiker angeblich auszeichnende Oberflächlichkeit und konsum-orientierte Unverbindlichkeit, die dann auch im nächsten Schritt sogleich mit einer vermeintlichen Kohärenz und Schlüssigkeit der eigenen „Tradition“ kontrastiert wird. Überaus beliebt ist bei den besagten Vertretern der obrigkeitsverordneten Gedankenlosigkeit auch der Kampfbegriff der„Beliebigkeit“, welcher in diesem Sinne dann ebenfalls eine ähnlich pauschalisierend-propagandistische Note erhält, wie die eingangs erwähnte „Patchwork-Religion“.

Eine tiefergehende Reflexion der Beweggründe und philosophischen Positionen (oder auch der konkret gemachten Erfahrungen), die die jeweilige Einzelperson zu einem konsequenten Synkretismus der Glaubensausübung veranlassen, findet in der Regel nicht oder nur oberflächlich statt, sei es aus mangelndem Interesse (da man sich ja als „Traditionalist“ sowieso elitär und arrogant auf der richtigen Seite wähnt) oder auch schlicht und einfach aus purer Ignoranz und philosophischer Einfältigkeit heraus.

Obgleich ich die schiere Existenz der oben angeführten Missstände und insbesondere ihre charakteristische Verbreitung in der zeitgenössischen Esoterikszene nicht pauschal leugnen möchte (und aufgrund meiner eigenen Erfahrungen in diesem Umfeld auch gar nicht leugnen könnte), kann und werde ich als bekennender und überzeugter Eklektiker das übliche Totschlagargument von der „Beliebigkeit“ esoterischer "Patchwork"-Praktiken nicht in dieser Allgemeingültigkeit stehen lassen.

Ich maße mir sehr wohl an zu sagen, dass ich als theologisch, philosophisch und religionswissenschaftlich interessierter Mensch in der Tat über eine durch und durch schlüssige und in sich überaus konsistente Weltanschauung und persönliche Lebensphilosophie verfüge, welche stets den Rahmen meiner spirituellen Aktivität bildet. So vielschichtig und heterogen die von mir tatsächlich ausgeübten Praktiken auch sein mögen (die immerhin so unterschiedliche Elemente wie Astrologie, reiki-basierte Energiearbeit, Harner´schen Core-Schamanismus umfassen), sie alle finden doch ihre letztendliche Vereinigung im Nährboden einer in sich kohärenten Gesamtphilosophie, deren lebendigen und organischen Ausdruck sie darstellen. Sie alle spielen ihre individuelle Rolle, sie alle dienen dem Erreichen desselben Ziels, nämlich einer geschlossenen und homogenen Sicht von Göttlichkeit, Mensch und Kosmos auf greifbarer Ebene Ausdruck zu verleihen und sie in praktische Lebensführung umzusetzen.

Man könnte in diesem Sinne also sagen, dass die Entwicklung hin zu einem gewissen grundlegenden Eklektizismus für mich eine ganz pragmatische Angelegenheit war, die in keinerlei Zusammenhang mit irgendeinem zeitgeistkonformen esoterischen Konsumdenken steht. Ebenso, behaupte ich, wird der Vorwurf der „Beliebigkeit“ angesichts der praktischen, zielgerichteten Selektivität eines philosophisch wohlreflektierten Eklektikers ganz schnell ins Leere gehen bzw. sich bereits im Ansatz als Rohrkrepierer heraustellen.

Sicherlich mag es in der kunterbunten Welt des esoterischen Supermarktes auch mehr als genug Menschen geben, die das alles anders handhaben und unter „Spiritualität“ in erster Linie ein für teures Geld zusammengeklaubtes Workshop-Wissen verstehen. Heute die Reiki-Einstimmung, morgen die Selbsterfahrungsgruppe und übermorgen lass ich den Rutengänger ins Haus. In der Zwischenzeit rauchen wir noch ein schönes Tütchen und fabulieren von der rosaroten Liebeskraft der großen Göttin, welche schon von den Druiden im keltischen Urmatriarchat verehrt wurde.

Und doch bestehe ich darauf, dass es unzulässig ist und bleibt, diese populistisch-kommerziellen Auswüchse der modernen Esoterikszene als charakteristisch für die Gesamtheit eklektischer und nicht-traditionsgebundener Strömungen moderner Spiritualität darzustellen. Ebenso beharre ich auf dem Standpunkt, dass ein unhinterfragtes Gleichsetzen von synkretistischer Glaubenspraxis einerseits und mangelnder theologischer Kohärenz andererseits, einen groben Fehlschluss darstellt, der letzten Endes weitaus mehr Fragwürdiges über die Geisteshaltung des „Anklägers“ offenbart.

Im mindesten Falle bleibt für mich festzuhalten, dass der unüberlegte Gebrauch des Schlagwortes „Patchwork-Religion“ mit dem Ziel der pauschalen Verunglimpfung jeder Form von esoterisch-eklektischer Spiritualität offenkundig propagandistische Züge trägt und in aller Regel lediglich dazu beiträgt, den Wortführenden selbst als ideologisch verblendeten Ignoranten zu enthüllen. Wenn man dann auch noch bedenkt, welche Heerscharen traditioneller Christen sich auf ein heiliges Buch berufen, welches selbst den literarischen Charakter einer in sich hochgradig inkonsistenten und teilweise erschreckend willkürlich zusammengeklaubten Schriftensammlung trägt, erhält das Totschlagargument von der „Beliebigkeit der Patchwork-Religion“ darüberhinaus noch eine regelrecht lächerliche Note.

Aber es scheint eben auch für die selbsternannten Wachhunde der orthodoxen Religiösität weitaus leichter zu sein, den Splitter im Auge des Nächsten zu erkennen, als den Balken im eigenen Auge auszumachen. Ich für meinen Teil habe diesen Teilzeit-Demagogen jedenfalls nur eines zu sagen:

Geht mir verdammt nochmal aus dem Weg! Ich habe noch etwas ernsthafte Spiritualität zu praktizieren.

Schöpfungsspiritualität

Schöpfungsspiritualität (engl. Creation Spirituality oder Creation-Centered Spirituality, bitte NICHT zu verwechseln mit Creationism) ist eine panentheistische, postkonfessionelle und naturreligiöse Bewegung, die in ihrer zeitgenössischen Erscheinungsform maßgeblich von dem kalifornischen Priester und Theologen Matthew Fox initiiert wurde.

Sie basiert auf einem non-dualistischen Gottes- und Realitätsverständnis und sieht die physische Realität, Mensch, Natur und Kosmos, sprich die gesamte Schöpfung als Manifestation göttlicher Energie (dabhar) und somit als integralen Bestandteil des Göttlichen an. Das Konzept eines strikt separat von der Welt existierenden Schöpfergottes, der die Charakterzüge eines individuellen Wesens trägt und einer physischen Natur von geringerer Qualität dualistisch gegenübersteht wird nicht vertreten.

Die theologischen Grundlagen von Creation Spirituality erläutert der ehemalige Dominikanermönch und heutige Anglikaner Fox in seinem erstmals 1983 erschienen Buch Original Blessing, wobei er allerdings darauf besteht, dass Creation Spirituality keineswegs seine Erfindung ist, sondern nach eigener Aussage "die älteste Tradition der Bibel, sowie der tradionelle Weg eingeborener Völker", mit anderen Worten eine spirituelle Tradition, die so alt ist, wie die Menschheit selbst und der ekstatischen Erfahrung des Einsseins mit der Natur und dem zugrundeliegenden göttlichen Prinzip entspringt. Folgende Konzepte sind in besonderem Maße charakteristisch für die Lehre von Creation Spirituality:

1. Panentheismus:
Die Schöpfung ist ein essentieller Bestandteil des Göttlichen. Alles was existiert, ist somit aus sich heraus göttlich, von göttlicher Energie durchflutet und selbst aus göttlicher Energie bestehend. Die natürliche Welt spiegelt mit all ihren harmonischen Rhythmen, Zyklen und Gesetzmäßigkeiten, aber auch mit all ihrem Chaos und all ihren Unperfektheiten das göttliche Gesetz wider. Die Natur selbst ist in ihrem So-Sein demnach die erste und höchste Offenbarung des Göttlichen, alle späteren Offenbarungspostulate (Bibel, Koran, Veden usw.) haben demgegenüber zweitrangigen Charakter. Im Einklang mit der Natur zu sein, heißt im Einklang mit dem Göttlichen zu sein, "Sünde" bedeutet zuallererst Entfremdung von der Natur (also somit natürlich auch Entfremdung von der eigenen menschlichen Natur), als Resultat einer Subjekt-/Objektspaltung, der u.a. auch der falsche Dualismus von Kultur und Natur entspringt.

2. Ursegen (Original Blessing) statt Ursünde/Erbsünde (Original Sin):
Die Schöpfung ist, als direkte Manifestation des Göttlichen, etwas prinzipiell Gutes und Wundervolles. Das schließt auch die menschliche Natur mit ein, die ihrem ursprünglichen Wesen nach gut, unverdorben und heilig ist. "Sünde" ist demgegenüber sekundär und sollte darüberhinaus nicht sprichwörtlich als Verstoß gegen den willkürlichen Moralkodex irgendeines imaginären, himmlischen Diktators interpretiert werden. Das unbiblische, augustinische Konzept der Erbsünde, welches eine angeblich erblich von Adam übertragene Sündhaftigkeit des Menschen bereits von Geburt an und bis zur Erlösung in Jesus Christus postuliert, ist aus schöpfungszentrierter Sicht als theologischer Anfangspunkt vollkommen inakzeptabel. Darüberhinaus ist die Lehre von der Erbsünde auch noch hoffnungslos anthropozentrisch, da die Schöpfung in ihrer Gesamtheit ja bereits einige Milliarden!!! Jahre älter ist als die Menschheit und jede potentielle menschliche Sündhaftigkeit. Somit muss eine schöpfungszentrierte Spiritualität (also eine naturreligiöse Tradition) schon rein logisch betrachtet mit dem viel optimistischeren Konzept eines uranfänglichen Segens beginnen.

3. Integration des Weiblichen Prinzips:
Entgegen der einseitig männlichen Symbolik der patriarchalen Traditionen ist der Gott der Schöpfungsspiritualität nicht nur Herr und Vater, sondern auch Göttin, Herrin und Mutter allen Seins. Schöpfung ist kein abgeschlossenes Ereignis in der Vergangenheit, sondern ein ewiger, andauernder Prozess des Gebärens des Universums durch die Göttinnenmutter allen Seins. Naturreligiöse Kulturen würdigen mit Recht sowohl die männlichen wie auch die weiblichen Aspekte des Göttlichen (meistens in polytheistischer Form). Allerdings betonen auch die mittelalterliche Mystik und einige Stellen in der Bibel den gebärenden, mütterlichen Charakter Gottes. Erstere kokettiert sogar offen mit weiblicher Symbolik für den Schöpfer/ die Schöpferin (z. B. bei Juliana von Norwich und Meister Eckhart). Das religiöse Legitimieren von Ungerechtigkeit und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern wird in der Creation-Spirituality-Bewegung vehement abgelehnt.

4. Tiefenökumene:
Der spirituelle Impuls des Menschen ist im Göttlichen selbst verwurzelt. Somit stellt auch jeder authentische Ausdruck dieses Impulses, solange er den freien Ausdruck eines anderen nicht behindert, einen eigenständigen Pfad zu „Gott" und „Erlösung“ dar. Religiöser Absolutismus ist Creation Spirituality fremd und wird allgemein als Resultat von blindem Dogmatismus und naiv-literalistischer Fehlinterpretation traditioneller Schriften angesehen (bei Christen etwa die Fehldeutung des biblischen Ausspruchs "Niemand kommt zum Vater, als nur durch mich"). Creation Spirituality selbst betrachtet sich in diesem Kontext ausdrücklich als „post-konfessionell“ und trotz Foxens christlichem Hintergrund keineswegs als primär oder gar ausschließlich christliche Bewegung (auch wenn der Wikipedia-Artikel hundertmal was anderes behauptet). Das alles bedeutet allerdings keineswegs, dass Creation Spirituality sich nicht eindeutig positionieren würde oder könnte. Es gibt durchaus klare Richtlinien, die auch jederzeit eine Abgrenzung z. B. von nicht schöpfungszentrierten Religionen ermöglichen.

5. Kreativität:
Schöpfung und Schaffenskraft sind die grundlegenden Dynamiken des Göttlichen. Wer kreativ ist und erschafft, ist Mit-Schöpfer neben „Gott“. Wir alle tragen diesen schöpferischen Impuls in uns, müssen die volle Verantwortung für ihn übernehmen und ihm einen authentischen Ausdruck verschaffen. Ein elitäres Kunstverständnis, das den kreativen Impuls des Menschen auf eine Minderheit sogenannter "Experten" projiziert, ist ein pervertiertes Kunstverständnis und Kennzeichen einer kranken Gesellschaft. Wenn etwa die biblische Tradition lehrt, dass der Mensch in Gottes Ebenbild erschaffen wurde, bedeutet das im Verständnis von Creation Spirituality, dass der Mensch über dieselbe grundlegende Fähigkeit verfügt, innere Bilder in konkrete, manifeste Wirklichkeit umzusetzen (creatio ex nihilo). Dieser Vorgang setzt natürlich auch ein hohes Maß an Ethik und Verantwortlichkeit voraus. Dass diese „Gottesgabe“ nämlich sowohl für das Komponieren eines Musikstücks und das Aufziehen eines Kindes wie auch für den Bau einer Wasserstoffbombe oder die Planung eines Angriffskrieges genutzt werden kann, sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

Für diejenigen, die es nicht ohnehin schon vermutet haben, sollte man abschließend vielleicht auch noch erwähnen, dass der gute Reverend Fox bereits Anfang der 90er Jahre auf persönliches Bestreben eines gewissen Kardinal Ratzinger aus Dominikaner-Orden und katholischer Kirche rausgemobbt wurde und nun bei den anglikanischen Episcopalians anstellig ist.

Einer der Hauptanklagepunkte des heutigen Pabstes und damaligen Kardinals und Großinquisitors gegen Matthew Fox war übrigens des Letzteren vehemente Weigerung die „diabolische“ Praktik der Homosexualität zu verurteilen. Auch Foxens grundlegend feministischer Ansatz und die jahrelange, eifrige Zusammenarbeit mit „heidnischen“ Native Americans und Reclaiming-Schnitte Starhawk dürften wohl nicht unbedingt auf vatikanische Gegenliebe gestoßen sein. Man sieht wieder einmal genau, wo das römisch-katholische Imperium seine Schwerpunkte setzt.

Mein persönliches Fazit:
Nach Lektüre des Fox´schen Grundlagenwerkes „Original Blessing“ und zahlreicher Webartikel auf der Seite http://www.matthewfox.org/,hatte ich im Herbst vergangenen Jahres dann auch endlich die Gelegenheit einem Vortrag des guten Reverend persönlich in meiner damaligen Wahlheimat Dublin beizuwohnen. Mein bisheriger Eindruck von der ganzen Chose ist überwiegend positiv und mit meiner eigenen animistischen Weltsicht (die ja auch so manch panentheistischen Zug trägt) zumindest hochkompatibel.

Nachdem mein langjähriges Studium der zeitgenössischen Heidenszene, die ja ganz gerne großmäulig einen naturreligiösen Alleinvertretungsanspruch in der westlichen Gesellschaft erhebt, größtenteils frustrierend verlaufen ist, war ich schon etwas überrascht, ausgerechnet in den Ausführungen eines christlichen Priesters und ehemaligen Dominikanermönches eine solch tiefgreifende und faszinierende Inspirationsquelle für naturreligiöse Lebensführung gefunden zu haben.

Zwar hat sich meine einstmals recht negative Haltung dem modernen Heidentum gegenüber mit der Entdeckung des Rabenclans in Deutschland wieder stark relativiert (es scheinen also DOCH Möglichkeiten zu existieren, im postmodernen Europa Heide zu sein, ohne sich mit dieser nervigen, seichten, verkitschten Heidenszene und ihren halbgebildeten Ideenlieferanten rumärgern zu müssen!), doch bin ich überzeugt, dass mich gerade auch die Lehren der Fox´schen Schöpfungsspiritualität noch ein ganzes Stück auf meinem zukünftigen Weg begleiten werden.

Saturday, September 6, 2008

Was ist spiritueller Anarchismus?

Anarchismus im klassischen Sinne bezeichnet üblicherweise eine politische und soziale Philosophie, deren Anhänger die Legitimität von menschlicher Macht und Herrschaft über andere bestreiten, vor allem wenn diese Machtausübung mit Zwang und Gewalt einhergeht bzw. nur durch diese Instanzen aufrechterhalten werden kann. Klassische Anarchisten streben als Ideal die herrschaftslose Gesellschaft an, in der das Individuum in völliger Entscheidungsfreiheit handelt, ohne durch äußere, menschliche Autoritäten eingeschränkt zu werden. Diese Entscheidungsfreiheit erfordert natürlich auch ein enorm hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Gerechtigkeitsempfinden, damit die Anarchie nicht in Chaos und Willkürherrschaft der Starken über die Schwachen umschlägt.

Mit dem Titel dieses Blogs "Spiritueller Anarchismus" beziehe ich mich dementsprechend folgerichtig auf einen Zugang zu Spiritualität und Religiosität, der von Individualismus, Eigenverantwortung und Skepsis gegenüber traditionellen religiösen Institutionen geprägt ist. Dort, wo die etablierten Lehren und historisch gewachsenen Traditionen oft als Rechtfertigung für Herrschaftsideologien missbraucht wurden und werden, dort wo "Religion" im herkömmlichen Sinne oft nichts weiter ist, als eine bequeme Ausrede, um sich als Einzelperson keine tieferen Gedanken über Sinn und Unsinn des Status Quo machen zu müssen, dort widersetzt sich der spirituelle Anarchist Dogma und Volksverdummung durch eigenständiges Denken und Sinnieren, durch Reflektieren der persönlichen Erfahrungswelten und das verantwortliche Einstehen für die eigenen Überzeugungen.

Philosophische Paradoxa haben ebenso wie die naturwissenschaftliche Forschung der letzen 100 Jahre (und hier besonders die Quantenmechanik, die allgemeine Relativitätstheorie und die Teilchenphysik) die eklatanten Mängel eines materialistischen Weltbildes offengelegt. Die mittlerweile fast schon altehrwürdige Tradition der Parapsychologie hat in den zahlreichen Jahrzehnten ihres Bestehens einen regelrechten Berg anomaler Daten ans Tageslicht gezerrt, die sich mit den althergebrachten mechanistischen Konstrukten des 18. und 19. Jahrhunderts nicht mehr hinreichend erklären und beschreiben lassen. Formal hochgebildete Wissenschaftler wie David Bohm, Rupert Sheldrake und Hans-Peter Duerr sinnieren über Holismus, Mystik und nondualistischen Weltbildern, während die reflektierteren Elemente des Neopaganismus hochinteressante Vorstellungen diskutieren, wie diesseits-bejahende Naturreligion der urban-industriellen, nihilistischen Konsumgesellschaft als positiver Kontrast gegenübergestellt werden könnte.

Kurzum: Die Deutungshoheit für spirituelle Lebensführung und nicht-materialistische Weltanschauung ist den traditionellen Großreligionen und ihren Kirchen, Gurus und Führergestalten längst entrissen worden. Selbst die oftmals kommerzielle, obrigkeitshörige und (zu Recht) vielgescholtene New-Age-Esoterik kann glücklicherweise längst kein Monopol auf alternative und außerchristliche Religiosität mehr erheben.

"Spiritueller Anarchismus" bedeutet, von dieser nie dagewesenen Freiheit auf wohlreflektierte und eigenverantwortliche Art und Weise Gebrauch zu machen. Am Anfang der Reise steht für mich als Einzelperson die Beobachtung, dass Spiritualität und die Suche nach Transzendenz (einschließlich Selbsttranszendenz) anthropologische Konstanten darzustellen scheinen. Es ist die Überzeugung, dass jedem Menschen ein spiritueller Impuls innewohnt, die mich auf den Pfad des spirituellen Anarchisten geführt hat, einhergehend mit dem unbedingten Willen diesem Impuls auf authentische und unverzerrte Weise Ausdruck zu verleihen.

Machen wir uns also auf zu einer Welt, in der religiöses Dogma und atomistischer Atheismus nicht länger die einzigen Alternativen darstellen. Spiritualität ist Selbstbefreiung und als solche keine Antithese zum Anarchismus, sondern untrennbar verwoben mit dem individualistischen Ideal einer lebenswerten, selbstbestimmten Existenz.